Geschichte der digitalen Nachrichtenübertragung im Amateurfunk

Schon seit langer Zeit ist das Funkfernschreiben im Amateurfunk gebräuchlich (RTTY). Die mechanischen Fernschreibmaschinen (Siemens T100, Lorenz Lo15) waren für Amateure billig erhältlich und ließen sich mit einem Konverter ohne Aufwand an einen Transceiver anschließen. Die übliche Geschwindigkeit war 45 Baud, das entspricht ca. 6 Buchstaben pro Sekunde.

Durch die Verwendung von Bildschirmen (Terminals, Hobbycomputer) wurde es für Amateure möglich, wesentlich schnellere Übertragungsverfahren zu verwenden. Mit geringem Aufwand konnten Konverter über eine serielle Schnittstelle an einen Computer angeschlossen werden und ermöglichten Übertragungsgeschwindigkeiten bis zu 2400 Baud (ca. 200 Buchstaben pro Sekunde). Eine Datensicherung (Fehlererkennung bzw. Fehlerkorrektur) fand nicht statt, ein 'Protokoll' existierte nicht.

Aus dem kommerziellen Funkfernschreibverkehr wurde das AMTOR-Verfahren übernommen. Hier werden kleinste Datenpakete mit nur wenigen Buchstaben gesendet und jedesmal die Empfangsbestätigung abgewartet. Bei negativer oder fehlender Empfangsbestätigung wird das Paket wiederholt. Die erzielbare Geschwindigkeit liegt, wie bei RTTY bei etwa 6 Buchstaben pro Sekunde, jedoch sind Übertragungsfehler unwahrscheinlich.

Der Begriff 'Packet-Radio' wurde Ende 1981 in Tucson, Arizona geprägt. Eine Gruppe von Funkamateuren hatte sich zur TAPR (=Tucson Amateur Packet Radio) zusammengeschlossen und plante, ein lokales Datennetz auf Amateurfunkfrequenzen aufzubauen. Dabei war jedoch vorgesehen, dieses Datennetz später international auszuweiten.

Der erste Schritt wurde im Oktober 1982 unternommen. Bei der AMSAT in Washington trafen sich verschiedene Gruppen von Funkamateuren, und legten ein Protokoll für eine Paketdatenvermittlung fest. Hauptzielrichtung war es, ein einheitliches Verfahren zur Datenübertragung von und zu den geplanten Phase III B Satelliten (OSCAR 10) zu entwickeln.

Für die Datenübertragung innerhalb der postalischen Netze war das X.25 Protokoll bereits eingeführt, bei uns ist es unter der Bezeichnung 'Datex-P' gebräuchlich. So lag es nahe, auch für den Amateurfunk ein ähnliches Verfahren zu verwenden. Im Gegensatz zum postalischen Netz, das speziell für Punkt-zu-Punkt-Verbindungen ausgelegt ist, 'hört' ein Funkempfänger alle benachbarten Sender und wird auch von allen Nachbarn gestört. Außerdem ist es beim Amateurfunk wichtig, daß die Rufzeichen der beteiligten Stationen mit ausgesendet werden.

Das erweiterte X.25 Protokoll, das alle Anforderungen für den Amateurfunkbetrieb aufweist, wurde festgelegt und AX.25 (A=Amateur) genannt. AX.25 definiert die Stufe 2 des OSI-ISO-Modells.

Die TAPR entwickelte 1983 eine Rechnerkarte 'TNC1', die die Daten in dem AX.25 Protokoll senden und empfangen konnte. Der Bausatz kostete damals 240 $ und umfaßte eine 16x27 cm große Leiterplatte mit dem Motorola Mikroprozessor 6809 und den Modem-IC XR2211 und XR2201. Die Stromversorgung war auf der Platine enthalten, bei +12, +5 und -12 Volt betrug die Leistungsaufnahme einige Watt.

Während sich das TNC1 in den USA langsam verbreitete, gab es in der Bundesrepublik nur wenige Anwender für diese Betriebsart. Eine Stuttgarter Gruppe machte 1982 Versuche mit 1200 Baud ASCII Übertragung und programmierte verschiedene Kommandos, mit denen man Daten fehlerfrei austauschen konnte.

Ab 1985 kam eine Neuentwicklung heraus: das TNC2. Es hatte den Z80 Mikroprozessor, 8 kByte RAM, 32 kByte EPROM und verwendete größtenteils HCMOS IC um den Stromverbrauch in Grenzen zu halten. Mit dem TNC2 hielt auch die Betriebsart Packet-Radio Einzug in Deutschland.

Es folgten verschiedene Weiterentwicklungen des TNC2, die sich jedoch stark an das von TAPR entwickelte TNC2 anlehnten. Da der Quellcode (Source) des Z80-Programms nicht veröffentlicht wurde, war man darauf angewiesen, TNC-Nachbauten mit gleichen Programmen (EPROM's) zu betreiben wie das Original. Insbesonders das Modem wurde verbessert, indem man die XR2211/2206 gegen ein TCM 3105 austauschte und somit auf den Abgleich der Modemfrequenzen verzichten konnte. Die sehr verbreiteten TNC2C begnügen sich mit 5 Volt Versorgungsspannung und haben einen Leistungsbedarf von weit unter 1 Watt, wovon der größte Teil für den Betrieb der Leuchtdioden benötigt wurde.

Als neuen Meilenstein der TNC-Hardware wurde 1993 das TNC3S von SYMEK auf den Markt gebracht. Durch Einsatz eines 16/32 Bit Prozessors mit RISC-Architektur kann dieses TNC die HDLC-Packet-Daten auf zwei Kanälen gleichzeitig und hundertmal schneller verarbeiten als ein TNC2. Da das TNC3S bis zu 1 MByte (also das 32-fache des TNC2) RAM-Speicher und 256 kByte EPROM besitzt, eignet sich dieses TNC auch für anspruchsvolle Aufgaben (Digipeater, Mailbox etc.) Der eingesetzte 68302-Prozessor eignet sich für Multitasking-Betrieb, die Anwendungsprogramme können ohne großen Aufwand in C geschrieben werden.

Der Packet-Radio-Betrieb fand in den Anfangszeiten vorwiegend auf dem 2 m Band statt. Die Frequenz 144.675 war in den Ballungsgebieten häufig stark überlastet und der Verkehr über mehrere Digipeater hinweg war nur in den 'ruhigen' Stunden des Tages möglich. Ende 1986 wurden dann die ersten 'offiziellen' Digipeater genehmigt. Diese Umsetzer arbeiten vollduplex im 70cm Band, das heißt, sie können gleichzeitig senden und empfangen. Durch den großen Einzugsbereich dieser Umsetzer war es nun auch mit geringem Stationsaufwand möglich, sichere Packet-Verbindungen über große Entfernungen herzustellen.

Eine Gruppe von Frankfurter Funkamateuren entwickelte einen Steckkartenrechner, der eine Vermittlung der Datenpakete möglich machte. An den RMNC (Rhein-Main-Network-Controller) konnten mehrere Funkgeräte angeschlossen werden und die ankommenden Datenpakete wurden je nach dem Ziel auf dem entsprechenden Sender ausgegeben. Die Digipeater verfügten meist über einen Duplexkanal (Benutzerzugang) und einen oder mehrere Simplexkanäle (Links), mit denen sie im 23cm-Band mit den benachbarten Digipeatern verbunden waren. Der RMNC hat sich wegen seiner Leistungsfähigkeit bei niedrigen Gerätekosten in DL weit verbreitet.

Eine einfache und billige Möglichkeit, einen Netzknoten aufzubauen, war das 'NET-ROM'. Mithilfe dieses Programms (im EPROM) konnte man mehrere Standard-TNC zu einem Netzknoten zusammenschalten. Der Benutzer des Knotens konnte die Liste der erreichbaren Nachbarknoten abfragen und zu diesen Knoten weiterconnecten. Das NET-ROM war eine kommerzielle Entwicklung aus den USA und verbreitete sich aufgrund der Beschaffungsprobleme nur zögernd. Später wurde ein kompatibles Programm 'TheNet' in Deutschland entwickelt, das für die kostenlose Nutzung durch Funkamateure freigegeben war und sich rasch verbreitete.

Ab 1987 wurden große Anstrengungen unternommen, ein Datennetz aufzubauen, das über 23cm-Richtfunkstrecken die Verbindung aller Digipeater ermöglicht. Mit großem persönlichen Einsatz und erheblichem finanziellem Aufwand wurden an zentralen Stellen Digipeater gebaut und, soweit möglich über 23cm Richtfunkstrecken an das Netz angebunden.

Als sehr nützliche Einrichtung kamen nun zahlreiche Mailboxen ans Netz. In diesen Mailboxen konnten allgemein interessierende Informationen, sowie Nachrichten an bestimmte Funkamateure ('persönliche Mail') abgelegt bzw. abgerufen werden. Die Mailboxen stehen über 'store and forward' miteinander in Verbindung und tauschen Nachrichten untereinander aus. Ein Brief ('Mail'), der z.B. in Kiel in eine Mailbox eingegeben wird, wird von Box zu Box weitergereicht, bis er in der Zielbox z.B. in Stuttgart ankommt. Dort ruft ihn der Adressat dann gelegentlich ab.

Die Verbindung zu Packet-Stationen außerhalb Deutschlands erfolgt durch 'Gateways', das sind Packet-Digipeater, die Nachrichten von Kurzwelle aufnehmen und in das deutsche Netz einspeisen. Auf diese Weise kommen Nachrichten aus der ganzen Welt in jede lokale Mailbox. Momentan (1991) werden täglich etwa 20 bis 50 Nachrichten mit durchschnittlich 2 kByte in einer Mailbox gespeichert. In manchen Mailboxen hat man Zugriff auf einige zehntausend Meldungen, die zum Teil noch aus den Anfangszeiten der Mailbox-Zeit Ende 1987 stammen.

Ende 1988 wurden erste Versuche mit Modulationsarten unternommen, die mehr als 1200 Baud erlaubten. (z.B. G3RUH-Modem) Diese Modems wurden bevorzugt für die Verbindung der Digipeater untereinander verwendet.

Der Weg der Datenpakete durch das Digipeaternetz mußte man beim Verbindungsaufbau selbst angeben. Ab Mitte 1987 wurde in Stutgart ein Knotenrechner in Betrieb genommen, der die Wege zu den empfangenen Stationen speicherte und die notwendigen Digipeaterrufzeichen automatisch in die Pakete einfügte. Dies vereinfachte die Benützung des Digipeaters wesentlich, da man die Vermittlung der Daten dem Knotenrechner überlassen konnte. ('Autorouting') Einige Zeit später wurden ähnliche Autorouter-Programme auch in den RMNC und OE5XDL Knotenrechnern eingebaut.

Grundsätzlich kann bei Packet-Radio nur eine Verbindung zwischen zwei Stationen bestehen. Um Rund'gespräche' zu ermöglichen, wurden sog. CONVERS-Programme installiert, die eine schriftliche Unterhaltung mehrerer Stationen ermöglichen. Dabei sind alle Stationen mit einem Knotenrechner verbunden, der die Nachrichten empfängt und an alle Stationen (die am CONVERS-Betrieb teilnehmen) weitergibt.

Außer AX.25 werden von einigen Digipeatern auch TCP/IP-Verbindungen unterstützt. Dieses Protokoll eignet sich sehr gut zum automatischen Datenaustausch von Computern. Digipeater vom Typ' WAMPES' (=Württemberger Amateur MultiProtokoll Experimentelle Software) können connected werden und gestatten jedem Amateur, in das unix-System des Rechners einzuloggen und mit dem Rechner zu arbeiten, Programme zu erstellen und zu speichern. Es können viele Benutzer gleichzeitig diese Eigenschaft der WAMPES-Knoten in Anspruch nehmen.

Als sehr nützliche Einrichtung für den Kurzwellen-DX'er sind überall sogenannte 'DX-Cluster' eingerichtet worden. Diese Rechner sind eine Mischung von CONVERS-Knoten und Datenbank. Wenn man solch ein DX-Cluster connected, bekommt man brandaktuelle DX-Informationen (Call, Frequenz, Uhrzeit etc.) laufend auf dem Bildschirm angezeigt. Hat man selbst einen 'seltenen Fisch' auf Kurzwelle geangelt, dann gibt man die Daten in den Clusterrechner ein, der die Meldung sofort an alle angeschlossenen Interessenten weitergibt. Zusätzlich steht eine Datenbank für Prefixe oder QSL-Manager-Adressen zur Verfügung.

Die weitere Entwicklung bei Packet-Radio wird im weiteren Ausbau des Netzes bestehen. Benutzerzugänge mit 9600 Baud werden bestimmt bald die Regel, spezielle Packet-Transceiver für den 9600 oder 19200 Baud-Betrieb werden gebraucht. Immer mehr werden grafische Daten (Bilder etc.) oder digitalisierte Sprache übertragen, was das Datenaufkommen vergrößert. Dies führt natürlich zu einem enormen Bedarf an schnellen Verbindungen zwischen den Digipeatern. Die Knotenrechner werden in Bezug auf Komfort und Geschwindigkeit weiterentwickelt werden. Was die Linkstrecken betrifft bestehen mittlerweile Probleme mit der Genehmigung der 23cm Frequenzen, da Amateurfunk auf 23cm nur auf sekundärer Basis erlaubt ist und z.B. die militärische Nutzung des Bandes dem Frequenzbedarf der Amateure gewisse Grenzen setzt. Linkstrecken auf höheren Frequenzen (6cm, 3cm) mit fest ausgerichteten Spiegelantennen werden versucht, allerdings gibt es hier Probleme mit dem betriebssicheren und temperaturstabilen Aufbau der Geräte und der für ausreichende Reichweite erforderlichen Sendeleistung. Da auf diesen Bändern bisher keine Frequenzknappheit herrscht, lassen sich hier Übertragungsverfahren mit sehr hoher Baudrate realisieren.

Autor: Ulf Kumm, DK9SJ